Reste

Franziska Schlegel
2 min readJul 7, 2023

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Er nimmt sich was er will. Kriegt auch alles, was er will.
Für dich die Reste.
Ich schlucke. Nicht die Reste, sondern meine Enttäuschung herunter. Meine Fingernägel in das Wachstischtuch gedrückt.
Er grinst mit dem letzten Stück Fleisch in der Hand. In der anderen weiches Brot. Für mich nur der harte Rand. Ich sammele Speichel, weiche es ein, kaue, kaue, schlucke. Nägel und Knöchel schon weiß, Kerben im Tischtuch.
Er muss hart arbeiten. Er braucht mehr als du. Er hat es so schwer. Jeden Tag. Braucht Kraft für den Tag und Erholung in der Nacht.
Drum darf er am Ofen schlafen und ich in der kalten Kammer. Er, Er, Er.
Er hat es nicht leicht, der Arme auf dem Feld. Du hast es so viel leichter. Such’ dir einen wie ihn. Dann geht’s dir besser als uns allen zusammen.
Beschwer dich nicht, Schmollmund.
Mach das Beste aus allem, Glückskind.
Sei dankbar, Engelsgesicht.
Was beschwerst du dich denn? Er hat es halt schwerer, harte Arbeit, auch sonntags.
Wo bleibe denn ich? Hört jemand zu? Wenn mein Magen knurrt, weil die Reste nicht reichen. Wenn ich schlaflos in der Speisekammer suche, was selten übrig gelassen wird? Das merkt nicht mal jemand, wenn ich nach Essen suche, ist ja eh kaum noch was da. Ist ja alles für ihn. Mutter ist auch ganz mager, er kriegt ja alles. Er braucht ja auch mehr. Er hat’s ja nicht leicht. Ja, ja, ja. Ich sage: nein, nein, nein, das kann doch nicht alles sein! Wo bleibt der große Rest? Finger verkrampft, ganz steif, genau wie mein Rücken.
Hier kriegst du den Rest, das wird doch wohl reichen. Er braucht halt viel mehr. Schau ihn dir an. Er hat’s nicht so leicht, das war schon immer so. Du hast Glück, aber er muss hart schuften. Siehst du das nicht?
Ich sehe was, das ihr nicht seht und das ist kalt und grau. Graue Enttäuschung, kalt in meinem leeren Bauch. Ich sehe seine Erschöpfung und sehe auch mich. Und manchmal Reste für mich, wenn ich welche finde, schlaflos, wenn alle schlafen. Wie lange reichen die Reste? Zehren sie mich aus?
Reichen sie aus, wenn ich mich anders versorge? Schaff’ ich das allein? Ich brauche keine Reste, nicht diese Reste. Nicht diese Reste, die übrig bleiben, wenn er satt ist. Faust auf dem Tisch, drück’ mich hoch, stehe auf.
Ich schaff’ das allein.

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